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Die Menschen sollen in jeder Lebensphase ihre Gesundheit optimal entfalten können

Ausgabe Nr. 114
Sep. 2016
Lebensphasen

Lebensphasenansatz. Der Lebensphasenansatz gewinnt unter Gesundheitsfachleuten immer mehr an Bedeutung. Umfassende Gesamtschauen wie die UNO-Strategie für nachhaltige Entwicklung «Agenda 2030», das Rahmenkonzept der WHO Europa «Gesundheit 2020» oder die gleichnamige gesundheitspolitische Strategie des Bundesrats orientieren sich an diesem Ansatz. Vergangenen Herbst führte die WHO Region Europa zudem eine Ministerkonferenz zum Thema Lebensverlaufsansatz durch. Was steckt hinter diesem Ansatz und was macht ihn für Präventionsexperten so interessant?

Der Lebensphasen- oder Lebensverlaufsansatz zeichnet sich durch seine sehr umfassende Sichtweise aus: Er bedient sich einer zeitlichen sowie gesellschaftlichen Perspektive auf die Gesundheit von Einzelpersonen und schliesst auch generationsübergreifende Determinanten von Gesundheit ein. Dabei wird Gesundheit nicht als Zustand, sondern als von vielfältigen Faktoren beeinflusster Prozess betrachtet. Zu diesen Faktoren gehören genetische Gegebenheiten und das Umfeld, in das man hineingeboren wird bzw. in dem man lebt: Dieses wird unter anderem durch die sozioökonomischen Verhältnisse und den Bildungshintergrund der Eltern, Umweltfaktoren, Arbeitsbedingungen, gesellschaftliche Normen sowie politische und kulturelle Rahmenbedingungen geprägt. Im April haben das Bundesamt für Gesundheit (BAG), die Kantone und Gesundheitsförderung Schweiz ihre Strategie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD-Strategie) der Öffentlichkeit vorgestellt. Darin ist der Lebensphasenansatz – neben dem Setting- und dem Zielgruppenansatz – einer von drei Handlungsansätzen zur Förderung der Schutzfaktoren resp. zur Eindämmung der Risikofaktoren.  

Ein Leben lang in Gesundheit und Wohlbefinden investieren

Der Lebensphasenansatz betrachtet die gesamte Lebensspanne und teilt diese in verschiedene Lebensabschnitte ein, die für die Gesundheit besonders relevant sind: In der Kindheit steht ein gesundes   Wachstum und die gesunde Entwicklung im Zentrum, im Jugendalter die Bildung und Festigung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils. Im Erwachsenenalter wiederum geht es vor allem um den Erhalt der Gesundheit und die Vermeidung von Krankheiten im Allgemeinen, aber auch um die Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit sowie der sozialen Teilhabe. Im fortgeschrittenen Alter steht dann der Erhalt der Lebensqualität und der Autonomie im Vordergrund. Dazu zählt, mit Einschränkungen leben zu lernen und dabei so weit und so lange wie möglich selbstständig zu bleiben sowie ein soziales Umfeld pflegen zu können – trotz entstehender Lücken im Familien- und Freundeskreis. Es ist somit in allen Lebensabschnitten wichtig, in Gesundheit und Wohlbefinden zu investieren.  

Ein mehrdimensionales Konzept

Beim Lebensphasenansatz geht es also darum, zu verstehen, welche Einflussfaktoren in den einzelnen Lebensabschnitten der Gesundheit schaden, welche sie schützen und welche sie fördern – und zwar von vor der Geburt bis ins hohe Alter. Dazu wird eine Vielzahl von Erkenntnissen aus einem breiten Spektrum von wissenschaftlichen Disziplinen und Politikbereichen herangezogen. Diese reichen von sämtlichen medizinischen Fachgebieten über die Psychologie, Soziologie und Ökologie bis hin zu den Rechts- und Politikwissenschaften. Eine dem Lebensphasenansatz verpflichtete Gesundheitspolitik hat somit zum Ziel, nicht nur bestimmte Bedürfnisse und Erkrankungen einer Person in einer eng begrenzten Lebensphase ins Auge zu fassen, sondern vorausschauend die gesamte Lebensspanne abzudecken und der Gesundheit förderliche Rahmenbedingungen zu schaffen, von denen auch nachfolgende Generationen noch profitieren werden. Je nach Lebensphase sind unterschiedliche Lebenswelten (Familie, Schule, Arbeitsplatz etc.) für die Gesundheit von Bedeutung sowie unterschiedliche Bezugs- und Fachpersonen wichtig. Diese können den Lebensstil und die gesundheitsfördernden Rahmenbedingungen günstig beeinflussen. So sind beispielsweise bei Säuglingen und Kleinkindern Hebammen, Fachleute der Mütter- und Väterberatung wie auch die Kinderärztinnen und Kinderärzte oder Menschen aus dem persönlichen Umfeld zentrale Ansprechpersonen zu Fragen der Ernährung und Pflege des Kindes, während bei Jugendlichen zentrale Ansprechpartner häufig in Schule und Freizeitorganisationen zu finden sind.  

Gesunder Start ins Leben

Eine der wichtigsten Phasen für den weiteren Gesundheitsverlauf ist der Start ins Leben. Viele Studien zeigen, dass umweltbezogene Faktoren schon bei der Zeugung und Entwicklung des Kindes im Mutter-leib eine Schlüsselrolle spielen. So kann zum Beispiel der Alko-holkonsum des Vaters oder die Ernährung der Mutter vor der Zeu-gung bzw. während der Schwangerschaft einen Einfluss auf das Erbgut des Kindes haben. Ebenso hat ein Kind, das während der ersten Monate nach der Geburt in physisch-materieller und psychischer Hinsicht gut umsorgt wird und sich in einem angeregten Umfeld entwickeln kann, die besseren Chancen auf ein gesundes Leben. Innerhalb der ersten drei Lebensjahre bildet sich zudem der Grossteil der Hirnzellen aus. Auch das spricht dafür, möglichst früh Massnahmen zur Förderung einer gesunden Entwicklung zu  ergreifen. So sind Investi-tionen in die Gesundheitsförderung generell, insbesondere jedoch im Hinblick auf die Elternschaft und die Schwangerschaft von spezieller Bedeutung. Massnahmen im frühkindlichen Bereich (frühe Förderung) gehören zudem zu den (kosten)wirksamsten Ansätzen der Gesundheits-, aber auch der Sozial- und Bildungspolitik. Damit solche Massnahmen wirksam werden können, müssen sie jedoch in einem gesundheitsförderlichen Umfeld stattfinden sowie von den Bezugspersonen der Kleinkinder akzeptiert werden. Damit dies gelingen kann, muss die Gesundheitskompetenz in allen Lebensphasen gestärkt werden. Frühkindliche Förderung ist nicht einfach nur Sache der Väter und Mütter, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.  

Augenmerk auf Übergangsphasen

Der Lebensphasenansatz geht davon aus, dass die momentane Gesundheit eines Menschen sowie die aktuellen Rahmenbedingungen und der derzeitige Lebensstil weitreichende Konsequenzen für die zukünftige Gesundheit haben. Ein besonderes Augenmerk gilt kritischen Übergangsphasen im Lebensverlauf, in denen sich oft Weichen für das weitere Leben stellen. Zu diesen Übergangsphasen gehört zum Beispiel die Pubertät. Hier ergibt sich die Chance, die Jugendlichen in ihrer Gesundheitskompetenz zu stärken und dabei zu unterstützen, Entscheidungen zu treffen, die positive Auswirkungen auf ihre Gesundheit haben. Etwa, wenn es darum geht, Risiko- und Suchtverhalten zu vermeiden oder Widerstandkraft zur Überwindung widriger Umstände aufzubauen.  Im erwerbsfähigen Erwachsenenalter können sich weitere einschneidende Übergänge ergeben, die gesundheitsrelevant sind (Familiengründung, Etablierung im Beruf, berufliche Krisen etc.). Im späteren Verlauf des Lebens gehören zum Beispiel der Austritt aus dem Berufsleben oder der Beginn der körperlichen oder geistigen Einschränkungen zu den kritischen Phasen, in denen Menschen gezielt unterstützt werden können, um ihre Gesundheit und Lebensqualität so gut und lange wie möglich zu erhalten. Mit der Zunahme der Lebenserwartung dehnt sich die Lebensphase nach der Pensionierung stetig aus, und immer mehr Menschen haben die Chance, diese Jahre und Jahrzehnte bei guter Gesundheit zu gestalten. Mit einer guten Altersvorsorge gelingt dies einfacher! Zudem können spezielle biografische Ereignisse wie traumatische Kindheitserfahrungen, Arbeitsplatzverlust, Trennung, Lebenskrisen oder der Verlust von wichtigen Bezugspersonen auch längerfristige Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Person haben. Lebensübergänge, aber auch einschneidende  Erlebnisse verlangen nach wirksamen Bewältigungsstrategien. Gesundheitsförderung und Prävention können Massnahmen anbieten, welche die Menschen dabei unterstützen, schwierige Lebenssituationen zu überwinden und einen gesunden Lebensstil zu erhalten oder wiederzuerlangen.  

Konsequenzen  für die Gesundheitspolitik

Zwei Aspekte stehen bei der schweizerischen Gesundheitspolitik im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung im Vordergrund: zum einen die Eigenverantwortung für die persönliche Gesundheit und das entsprechende persönliche Verhalten, zum anderen das Schaffen gesundheitsförderlicher Rahmenbedingungen. Wer gut informiert ist, kann seine Gesundheit erhalten und schützen. Dazu sind günstige Rahmenbedingungen wichtig – ganz im Sinne von «make the healthy choice the easier choice». Die Menschen sollen nicht bevormundet, sondern dabei unterstützt werden, einen gesundheitsförderlichen Lebensstil zu pflegen. Dabei ist auch der Gedanke leitend, dass nicht alle Menschen in jeder Lebensphase in gleichem Masse in der Lage sind, ihr Leben gesundheitsbewusst zu gestalten. Gesundheit wird nicht nur durch persönliche Entscheidungen beeinflusst, sondern durch eine Vielzahl von Determinanten wie beispielsweise Wohnverhältnisse, Bildung, Arbeitsbedingungen und die Ausgestaltung des Gesundheitssystems und der sozialen Sicherheit. Diese Gesundheitsdeterminanten können sich im Lebensverlauf verändern und an Bedeutung gewinnen oder verlieren.  

Aktivitäten auf internationaler Ebene: WHO-Absichtserklärung unterzeichnet

Im Herbst 2015 fand in Minsk eine Ministerkonferenz der WHO Region Europa zum Thema Lebensverlaufansatz statt, an der auch eine Schweizer Delegation teilnahm. Der Schweiz bot die Konferenz auf fachlicher Ebene die Gelegenheit, sich über aktuelle Ansätze in diesem Bereich zu informieren. Zum Abschluss der Konferenz unterzeichneten alle teilnehmenden Staaten, so auch die Schweiz, eine Absichtserklärung. Darin bekennen sie sich unter anderem dazu, ihre Programme und Konzepte verstärkt im Sinne des Lebenslaufansatzes zu bewerten, bedürftige Gruppen zu bestimmen und entsprechende Massnahmen mit hohem Wirkungspotenzial bereitzustellen.

Neue MOSEB-Broschüre, gegliedert nach Lebensphasen

Im Herbst 2016 erscheint die neue MOSEB-Broschüre mit 19 ausgesuchte Indikatoren zum Ernährungs- und Bewegungsverhalten in der Schweiz. Die Broschüre ist zum ersten Mal gegliedert nach den Lebensphasen. www.moseb.ch

Kontakt

Markus Jann, Leiter Sektion Drogen,  

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